Andreas Rier (1995 in Bozen geboren) lebt aktuell in Halle an der Saale und absolviert den Masterstudiengang im Fachbereich Produktdesign Keramik/Glas an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein. Er arbeitet vorwiegend mit den Materialien Glas, Porzellan, Holz und Silber.
Die Ruhe nach dem Sturm
Ein Segel ohne Boot, ein Bunker ohne Grenzen.
Der Bunker 23, Bunker im Allgemeinen, stehen in der Landschaft, verloren wie ein Segelboot im offenen Meer. Sie passen nicht in ihre Umgebung und wirken wie fehl am Platz. Durch die Umnutzung und Anpassung des Bunkers bekam er einen Sinn, einen Mehrwert. Ein verlorenes Schiff, das wieder auf Kurs gebracht wird.
Die Holzterrasse des Bunkers, welche sich über die gesamte Dachfläche erstreckt, wirkte auf den Designer Andreas Rier, wie das Deck eines großen Segelschiffes. So war für ihn klar, dass der Fahnenmasten auch ein Schiff- bzw. ein Segelmasten sein könnte. Es entstand die Idee ein sieben Meter hohes Segel, aus einem 200 Meter langen Hanfseil, einem vier Meter langen Lärchenstamm, als Quermasten und alten Leintüchern, zu installieren.
Die Schiffsfahrt war von jeher der wichtigste Weg für das Entdecken, Erforschen und dem Austausch von Unbekanntem. Für den Bau der Bunker in den Alpen stand die Spaltung und das Schaffen von Grenzen im Mittelpunkt.
Krieg, Erdöl und Beton waren der einstige Antrieb des Verteidigungswalls. Heute ist es der frische Vinschger Wind und die Menschen, welche diesen Ort zu etwas ganz Besonderen machen, die Grenzen überwinden und Gemeinschaften bilden.
Ariel Trettel, geboren 1992 in Völs am Schlern. Künstler, Musiker, Mitbegründer von Shanti Powa Orchestra. Gründete mit 12 Jahren seine erste eigenen Band, besuchte an der Cademia St. Ulrich den Spezialisierungslehrgang Holzbildhauerei. Ab 2018 Assistent bei Studio C&C Albertelli/Abbaldo, Turin, 2020-2021 Meisterklasse an der Berufsfachschule für Steinbearbeitung Johannes Steinhäuser, Laas. Ab 2021 Atelier in der Kreativwerkstatt Ex-Drusus Kaserne, Organisator und Kurator verschiedener Ausstellungen.
Blonde Fasern
Es ist das Gold des rohen Hanfs, das sich mit seinen fünf Metern Länge im Wind treiben lässt. Angebracht am Fahnenmast des Bunker 23 in Tartsch, flattert die blonde Mähne im Oberwind.
Ein Band, ein Tuch, ein Schal, ein Schuh, eine Flagge, eine Fahne, eine Tasche, ein Hut, eine Decke, eine Schallschutzwand, ein Haus oder ein schönes Blatt Papier: zu all dem kann das Rohmaterial Hanf verarbeitet werden. Wie Lein ist auch Hanf in den Alpen eine jener Pflanzen, die seit Jahrtausenden verwendet werden. Die Skythen brachten die faserstarke Pflanze mit ihren vielen Möglichkeiten von Asien nach Europa, in China und Persien wurde Hanf vor 12.000 Jahren bereits angebaut. Die Araber trugen die afrikanische Variante bis nach Spanien, die Römer führten seinetwegen Kriege, Gutenberg druckte seine erste Bibel auf Hanfpapier und Levi Strauss fertigte daraus seine erste Jeans. Jahrtausende von Jahren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war es die weltweit wohl am häufigsten angebaute Nutzpflanze. Wer arm war, trug Kleidung aus Hanf – oder zog auch einmal an einem Pfeifchen, um die Kraft seiner Blüten zu nutzen. Gegen Gichtanfälle und Geistesabwesenheit soll der Stoff, der in den Blüten stecken kann, ebenso geholfen haben.
Die helle Mähne verkündet die Botschaft ihrer kulturellen Erfolgsgeschichte. Als Fahne gehisst, verdichtet sich diese Bedeutung. Befindet sich doch die Hanf-Fahne unübersehbar auf der Plattform des Friedens des Bunkers 23. Sie weht für ihre bewegte Historie, für das kollektive Vergessen ihrer Möglichkeiten im Rahmen neuer Technologien und Materialien, für ihre Wiederentdeckung als Rohstoff, auch hier und heute – und damit für jenen Kreislauf, dem wir unterworfen sind. Und den wir dennoch, wenn wir wollen, mitgestalten können.
Ariel Trettel lässt nicht nur die Erinnerung an das Kulturgut Hanf wehen. Der blonde Schweif streift unsere eigenen Fasern; macht uns bewusst, wie auch Orte und Gebäude verwandelt werden können, ohne ihre Geschichte zu vergessen, regt an, sie mitzunehmen in das Hier und Jetzt, ohne sie zu zerstören. Sei es der Sitz der Basis in Schlanders, wo die blonden Fasern bereits aus dem Fenster lugten, sei es der Bunker 23 in Tartsch. Es weht das Bewusstsein, sich die vielfältige Qualität der festen Fasern erneut vor Augen zu führen und sie in Zukunft nicht erneut zu vergessen. Nicht ohne Grund sind die Blonden Fasern nach dem Scheibenschlognsunntig, der dem Winter den Garaus machen soll, gehisst worden. Die Zeit des Säens ist gekommen.
Katharina Hohenstein
Seit Anfang Juli weht Benno Simmas Arbeit; sie ist ein perfekter Einstieg in das Kunstprojekt Flagge zeigen. Aus der ursprünglichen Collage aus Kriegsberichterstattungen vom Zweiten Weltkrieg bis heute – mit weißer Farbe übermalt und dem farbig leuchtenden Friedensymbol im Zentrum – druckte er jene Flagge, die nun am Bunker 23 gehisst ist. Beide Kräfte, jene des Lebens und des Todes, sind präsent in seinem Werk. Und nicht nur dort: von der Plattform aus schweift der Blick in die Umgebung; unter anderem auf die Ortler-Cevedale-Gruppe. Auch hier ist alles: Leben und Sterben und das endgültige Aus.
Die Gletscher ziehen sich weltweit zurück; alleine im Alpenbogen schrumpfte die Vergletscherung im Jahr 2012 auf weniger als die Hälfte vom Jahr 1850. Von den 284 seit 1995 in Frankreich, der Schweiz, Österreich und Italien untersuchten Gletschern haben sich 273 zurückgezogen. Wenn das Eis schmilzt, gehen auch die paläoklimatischen Archive verloren. Der Blick zurück ist dann nicht mehr möglich. Nicht in die Zeit vor Millionen von Jahren, auch nicht in die Zeit der 1950er und 1960er Jahre, als die dann entstandenen Eisschichten erhöhte Radioaktivität aufwiesen – weil überirdische Atomtests rund um den Erdball stattfanden. Die klimatischen Auswirkungen sind überall spürbar, erneut gibt es Krieg in Europa, vor dem Atomkrieg kann man wieder Angst bekommen, die Energiekrise setzt politische Weichen für eine Rückkehr zur Atomenergie. Der Tod ist omnipräsent. Das Leben auch.
In Benno Simmas Arbeit triumphiert das farbige Friedenszeichen – entworfen 1958 vom britischen Künstler Gerald Holtom für die Kampagne der nuklearen Abrüstung – über die Greueltaten der Kriegsgeschehnisse. Hier leuchtet die Hoffnung für das Leben.
Dem Tod können wir nicht entweichen. Mit jedem Jahresalter wird diese Gewissheit präsenter. Doch womit wir unsere Lebenszeit füllen, ist uns überlassen.
„Wer kommen will, ist willkommen. Gerade in Zeiten, in denen das gesellschaftliche Miteinander stark gelitten hat, ist genau diese Offenheit für ein gutes Lebensgefühl unabdingbar“,
mit diesen Worten lädt uns Othmar Prenner ein. Steigen wir die Stufen zur Kunst hinauf. Und schauen, was Flagge zeigen mit uns macht. Vielleicht verwandelt sich die ein oder andere Wand in eine Türe.
Katharina Hohenstein
Flagge zeigen in diesen Zeiten
Ein Ausstellungsort, der aus einem sieben Meter langen Stahlrohr besteht und in reichlich frischer Luft in die Höhe ragt: Eine Herausforderung für alle Kreativen. Doch genau dieser Galerieraum bildet jenen Ort, wo das aktuelle Projekt von Othmar Prenner Flagge zeigen stattfindet. Denn dieser Raum ist ein Fahnenmast auf der Plattform des Bunkers 23.
Um den Mast herum, unter und über ihm, an ihn gebaut, gelehnt, gezeichnet, aus ihm fließend oder tönend, von ihm blinkend oder ihn verhüllend, präsentieren jeweils eine Künstlerin oder ein Künstler für die Dauer von zwei Monaten ihre Kunst. Und sie zeigen es jeder und jedem, der sie sehen möchte. Für die Besucher ist die Annäherung an den Mast und die Kunst eine Verabredung ohne Terminplanung, eine kleine, individuelle Eröffnung. Vielleicht birgt sie ein Treffen mit den Künstlern und dem Kurator. Vielleicht auch nicht. Klar ist: es fehlen die klingenden Ansprachen. Vielleicht spricht die Kunst. Vielleicht tönt der Wind. Vielleicht kommt etwas in Bewegung.
Othmar Prenner will Flagge zeigen. Der Mast ist ein klar definierter Ort, auch deswegen hat er ihn gewählt. Vor allem jedoch ist der Mast eines: ein Fahnenmast. Die Bedeutung von Show the flag hat ihn inspiriert. Sich bemerkbar machen und Anwesenheit zeigen – diese Konnotationen liegen dem englischsprachigen Ausdruck zugrunde.
„Einfach einmal machen - ohne die Konsequenzen oder die Arbeitsschritte durchzutakten oder voraussehen zu wollen“,
sagt Prenner, „all das war mit ein Grund, warum Flagge zeigen ein Jahr lang hier präsent sein wird“. Ist es also ein Sich-Behaupten auf neu erworbenem Grund? Ja, das ist es! Die Zeit ist die Richtige, der Ort ist der Richtige, der Wille ist vorhanden und genau dann, dies wussten bereits Mystikerinnen und Philosophen des Altertums und Weise aus allen Erdteilen, kann das geschehen, was Joseph Campbell folgendermaßen formulierte: „Follow your bliss and the universe will open doors for you where there were only walls“. Jede der insgesamt sechs verschiedenen Arbeiten tritt im besten Fall nicht nur eine unsichtbare Türe ein, sondern geht auf Reisen. Irgendwohin. Nach Berlin oder Shanghai, nach Zürich oder in einen kleinen Ort irgendwo am Rande der Welt. Die Idee kam Prenner, als er bereits mitten im Projekt steckte. So viel zum Flow und dem Glück, einfach einmal zu machen und loszulegen. Denn um die neue Arbeit zeigen zu können, musste die alte Flagge abgenommen werden. „Die Flagge ist so leicht, sie passt ja in einen Briefumschlag“, dachte sich Prenner und erweiterte sein Projekt um den Aspekt der immer weiter wandernden Kunst.
Katharina Hohenstein